Aus richtungsweisend wird verbindlich: Änderung der Rechtsvorschriften zu Medizinprodukten

Was verändert sich genau?

Die meisten Vorlagen der MDD-Richtlinie bleiben auch in der neuen MDR-Verordnung erhalten und wurden zusätzlich durch neue erweitert. Wir erklären Ihnen die wichtigsten Änderungen.

Der neue Star: Medizinprodukt-Software rückt ins Rampenlicht

Medizinischer Software, die in früheren Verordnungen oft „durchgerutscht" ist, wurde in der neuen Medizinprodukteverordnung viel Aufmerksamkeit geschenkt. Welche Software nach der neuen Verordnung als Medizinprodukt gilt, können Sie in diesem Artikel nachlesen. Viele medizinische Software-Produkte müssen nun strengere Auflagen erfüllen, da den meisten nun eine höhere Klasse als Klasse I zugeordnet wird. Aber was bedeutet das in der Praxis?

Medizinprodukte werden in aufsteigende Risikoklassen eingeteilt: I, Im, Ir, Is, IIa, IIb, III. Nähere Informationen zu den Klassen gibt es hier.

Man kann grob sagen: Je invasiver das Produkt und je länger die Anwendungsdauer, desto höher ist die Risikoklasse und desto aufwändiger ist die Veröffentlichung eines Produkts. Bei einem Produkt mit Klasse I besteht also ein geringes Risiko bei der Anwendung und es ist nicht invasiv -– beispielsweise eine Lesebrille. Bei allen Produkten, die einer höheren Klasse als I zugeordnet werden und somit als riskanter gelten, muss das Produkt von einer sogenannten „Benannten Stelle”, einer staatlich überwachten Prüfstelle, freigegeben werden. Daher werden Hersteller von medizinischer Software, sobald die neue Verordnung gilt, auch meist eine Benannte Stelle hinzuziehen müssen, um die Software auf den Markt bringen zu dürfen. Welche Anforderungen genau erfüllt werden müssen, hängt dabei von der jeweiligen Klasse ab.

Neue Klassifizierung von Produkten

Mit der neuen Verordnung gelten neue Risiko-Klassifizierungsregeln für Medizinprodukte und so fallen neben medizinischer Software auch andere Produkte in eine neue Kategorie.

Zur Klasse I, der risikoärmsten Klasse, gibt es drei Unterklassen:

  1. Medizinprodukte mit Messfunktion (Im)
  2. Sterile Medizinprodukte (Is)
  3. Wiederverwendbare (reusable) Medizinprodukte (Ir)

Die Risikoklasse für jedes Produkt zu erfassen ist wichtig, da je nach Klasse andere klinische Anforderungen gelten. Auch wurde die Definition der Produkte, die der Richtlinie entsprechen müssen, weiter gefasst, daher ist es für Hersteller wichtig zu prüfen, ob weitere Produkte hineinfallen.

Welcher Weg führt auf den Markt?

Je nach Klasse ändert sich auch das Konformitätsbewertungsverfahren. Damit wird geprüft, ob das Medizinprodukt den europäischen Richtlinien entspricht: Ist es sicher in der Anwendung? Bringt es die Leistung, die es vorgibt? Diese Fragen sind wesentlich dafür, dass ein Produkt auf den Markt gebracht werden kann.

Dass das Medizinprodukt die angegebene Leistung erbringt, wird durch eine klinische Bewertung oder klinische Studien belegt. Bei Produkten der Klasse I, die nicht zu den oben genannten Unterklassen gehören, wird es den Herstellern überlassen, dies sicherzustellen. Diese Hersteller brauchen dafür ein eigenes Qualitätsmanagementsystem, das aber nicht zwingend zertifiziert sein muss. Bei den anderen Klassen muss für das Konformitätsbewertungsverfahren jedoch eine staatlich überwachte Benannte Stelle hinzugezogen werden. Das gilt auch für die drei Unterklassen von Klasse I: Im, Is und Ir.

Vor allem in der Softwareentwicklung eignet sich ein vollständiges zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem (beispielsweise nach der Norm EN ISO 13485). Erst wenn die Benannte Stelle die Erlaubnis dafür erteilt, darf ein Medizinprodukt mit höherer Klasse als I auf den Markt gebracht werden.

Strengere klinische Überwachung

Der Zweck der klinischen Überwachung ist, sicherzustellen, dass die Medizinprodukte sicher in der Anwendung sind und die Leistung erbringen, die sie vorgeben. Ob das zutrifft, wird vor Markteintritt durch die klinische Bewertung im Zuge des Konformitätsbewertungsverfahrens geprüft. Wichtig zu beachten ist dabei, dass nun für Medizinprodukte der Klasse III und implantierbare Geräte die klinischen Anforderungen erhöht wurden.

Die neue Verordnung schreibt nun aber auch vor, dass die bereits eingeführten Medizinprodukte durch die sogenannte Post Market-Surveillance, eine klinische Nachbeobachtung, weiter überwacht werden. So können etwa Risiken und Nebenwirkungen kontinuierlich erfasst werden. Vor der klinischen Bewertung muss nach der neuen Verordnung bereits ein genauer Plan für die Post Market-Surveillance erstellt werden. Die Benannten Stellen werden nun auf der einen Seite selbst strenger durch die nationalen Behörden überwacht, bekommen aber auf der anderen Seite auch weitere Befugnisse, um eingeführte medizinische Produkte zu überprüfen. So können sie etwa unangekündigte Stichproben-Überprüfungen der Produkte vornehmen. Auch müssen die Hersteller bei bestimmten Produktgruppen regelmäßig Berichte über deren Sicherheit und Leistung einreichen.

Als weitere wichtige Maßnahme wurde in der neuen Verordnung festgelegt, dass die Hersteller während der gesamten Lebensdauer eines Medizinprodukts alle relevanten Daten über die Leistung und Sicherheit des Produkts sammeln und dokumentieren müssen. So kann immer wieder aufs Neue bewertet werden, ob der Nutzen des Produkts das Risiko überwiegt. Diese kontinuierliche Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln wird auch Pharmakovigilanz genannt (mehr dazu gibt es in unserem Pharmakovigilanz-Artikel nachzulesen). So sind etwa auch alle Meldungen von Nebenwirkungen genau zu dokumentieren, was die Verantwortlichen in den Unternehmen vor die große Herausforderung stellt, eine schier unüberschaubare Zahl an Kommunikationskanälen überwachen zu müssen.

Um dort das Monitoring und Screening auf Nebenwirkungen zu erleichtern, haben wir Akriva entwickelt: Die Überwachung der digitalen Kanäle erfolgt damit ganz automatisch und die verantwortliche Person wird innerhalb von Minuten über relevante Kontaktaufnahmen verständigt.

Eine Kombination aus diesen neuen Maßnahmen der Verordnung dient dem Zweck, die Patientensicherheit deutlich zu verbessern.

Die Wahl einer verantwortlichen Person

Um sicherzustellen, dass die Richtlinien der neuen Verordnung auch in jedem Unternehmen richtig umgesetzt werden, muss nun auch jeder Medizinproduktehersteller eine Person ernennen, die über das nötige Fachwissen über die Produkte verfügt und dafür verantwortlich ist, dass alle Regeln eingehalten werden. Ganz neu ist das allerdings nicht, da bereits zuvor in der Norm EN ISO 13485:2016 eine verantwortliche Person, Beauftragter der Leitung (BDL) genannt, gefordert wurde, die für das Qualitätsmanagement von Medizinprodukten zuständig ist.

In der neuen Verordnung werden aber für die verantwortliche Person, auch „Person Responsible for Regulatory Compliance“ (PRRC) genannt, konkretere Aufgaben festgelegt. Sie ist unter anderem dafür zuständig, folgende Dinge sicherzustellen:

  • Prüfung der Konformität der Medizinprodukte
  • Technische Dokumentation
  • Marktüberwachung
  • Meldepflichten

Darüber hinaus wird in der Verordnung genauer festgelegt, welche Qualifikationen eine verantwortliche Person mitbringen muss. So kommt man in einem von zwei Fällen für diese Position in Frage:

Man bringt bereits eine vierjährige Berufserfahrung im Qualitätsmanagement oder Regulatory Affairs-Bereich bezogen auf Medizinprodukte mit. Man verfügt stattdessen über einen Studienabschluss in einem relevanten Fach wie etwa Medizin, Pharmazie, Recht oder Ingenieurwesen – in diesem Fall genügt es, mindestens ein Jahr im Bereich Qualitätsmanagement oder Regulatory Affairs bezogen auf Medizinprodukte tätig gewesen zu sein.

Ohne Nummer kein Produkt: Die UDI

Eine weitere Neuerung bei der MDR-Verordnung ist die Einführung einer individuellen Produktidentifizierungsnummer, auch UDI (Unique Device Identification) genannt, mit deren Hilfe die Rückverfolgbarkeit der medizinischen Produkte erleichtert wird. Damit kann etwa bei einem Produkt, bei dem ein Sicherheitsrisiko festgestellt wurde, der Rückruf schneller erfolgen.

Alle Produkte müssen als Teil des Qualitätsmanagementsystems auch in der neuen Europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) registriert werden. Hersteller sind verpflichtet die Informationen zu den Produkten auf EUDAMED immer auf dem neuesten Stand zu halten. Durch diese technische Dokumentation sollen alle wichtigen Informationen zu Medizinprodukten einfach zugänglich gemacht werden.

Bis wann die neue UDI an die Produkte angebracht werden muss, hängt von deren Produktklasse ab – je höher die Risikoklasse, desto früher muss sie angebracht werden:

  • Klasse III und implantierbare Produkte: 26. Mai 2021
  • Klasse IIa und IIb: 26. Mai 2023
  • Klasse I: 26. Mai 2025