Sinnfrage für Medizinprodukte: Die Zweckbestimmung

Als Hersteller müssen Sie für die erfolgreiche Zulassung eines Produkts im Medizinbereich eine Sache so früh wie möglich genau definieren: den Zweck, dem es dienen soll. Das ist deshalb so wichtig, weil durch diese sogenannte Zweckbestimmung überhaupt erst festgelegt wird, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt oder nicht. Auch wird damit festgelegt, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, damit es auf den Markt gebracht werden darf. Aber was genau ist die Zweckbestimmung und was muss man bei ihrer Formulierung beachten?

Was ist die Zweckbestimmung?

In der Medizinprodukte-Verordnung (MDR) wird die Zweckbestimmung folgendermaßen definiert:

„Zweckbestimmung“ bezeichnet die Verwendung, für die ein Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben und seinen Angaben bei der klinischen Bewertung bestimmt ist. (Quelle: MDR, Artikel 2)

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg

Der Hersteller soll also mit der medizinischen Zweckbestimmung von Anfang an genau definieren, wofür ein Produkt verwendet werden soll. Zum Beispiel wird darin im Detail beschrieben, welche Krankheit oder Verletzung mit dem Produkt diagnostiziert, therapiert oder überwacht werden soll. Eine möglichst präzise Formulierung ist deshalb so bedeutsam, weil sie weitreichende Folgen für das Produkt hat. So kann die Zweckbestimmung zum Beispiel durch eine etwas andere Formulierung aus einem simplen Hometrainer ein Ergometer für medizinische Belastungs-EKGs, also ein Medizinprodukt machen, allein durch die Angabe, dass diese Messung möglich ist. In unserem Artikel können Sie genauer nachlesen, welche Produkte als Medizinprodukte gelten.

Dieselbe Software kann als Medizinprodukt gelten oder nicht

Ob Software als Medizinprodukt gilt oder nicht, bestimmt ebenfalls die Zweckbestimmung. Ein Medizinprodukt ist sie dann, wenn sie vom Hersteller zur Diagnose, Vorbeugung, Überwachung oder Therapie von Krankheiten und Verletzungen vorgesehen ist. Dabei ist also nicht die Funktion selbst entscheidend, sondern die Zweckbestimmung.

Wenn also etwa eine Software, die Vitalparameter erfasst, laut Hersteller nur der Dokumentation dient, ist sie kein Medizinprodukt. Kann ein Arzt aber anhand der aufgezeichneten Vitalparameter Trends erkennen und daraus Diagnosen stellen oder passende Medikamente auswählen, ist dieselbe Software ein Medizinprodukt. Zum Beispiel gilt ein BMI-Rechner, der auf einer Lifestyle-Website implementiert ist, nicht als Medizinprodukt. Wird derselbe BMI-Rechner jedoch von einem Krankenhausinformationssystem verwendet, verwandelt er sich in ein Medizinprodukt. In diesem Fall müssen dann auch alle entsprechenden Richtlinien für Medizinprodukte eingehalten werden. So wird der Entwicklungsaufwand dieser vermeintlich simplen Formel allein durch die Zweckbestimmung als Medizinprodukt deutlich erhöht.

Wozu braucht man die Zweckbestimmung?

Die in der Zweckbestimmung formulierte Definition ist später die Grundlage der klinischen Bewertung. Damit wird geprüft, ob das Produkt die Leistung erbringt, die es laut Zweckbestimmung erbringen soll und ob die Anwendung sicher ist. Sobald das Produkt dann auf dem Markt ist, soll die Zweckbestimmung in möglichst gleichem Wortlaut auf dem Etikett und in der Gebrauchsanweisung stehen. Auch im Werbe- oder Verkaufsmaterial muss sie konsistent beibehalten werden.

Zweckbestimmung – wozu? Ein Überblick

Die Zweckbestimmung ist wichtig, um Folgendes festzulegen:

  • Wofür soll das Produkt verwendet werden?
  • Handelt sich um ein Medizinprodukt?
  • Welche Klasse hat das Medizinprodukt?
  • Welche Risiken bestehen?
  • Welche regulatorischen Anforderungen müssen erfüllt werden?

Die Zweckbestimmung gibt Medizinprodukten Klasse

Mit der Zweckbestimmung kann man nicht nur festlegen, ob ein Produkt überhaupt als Medizinprodukt gilt, sondern es dann auch der richtigen Risikoklasse zuordnen. Generell werden Medizinprodukte in folgende aufsteigende Risikoklassen eingeteilt: I, Im, Ir, Is, IIa, IIb, III. Man kann grob sagen: Je invasiver das Produkt und je länger die Anwendungsdauer, desto höher ist die Risikoklasse und desto aufwändiger ist die Veröffentlichung eines Produkts, da mehr Anforderungen erfüllt werden müssen. Nähere Informationen zu den Klassen gibt es hier.

Je nach Klasse ist auch der Verlauf der Konformitätsbewertung unterschiedlich. Mit dieser wird geprüft, ob das Medizinprodukt den europäischen Richtlinien entspricht. Zum Beispiel muss man bei höherer Klassifizierung mehr klinische Daten vorweisen, um sowohl die vorgegebene Leistung als auch die Sicherheit in der Anwendung nachzuweisen.

Do's and Don’ts

Besonders bedeutsam ist es, die Zweckbestimmung so präzise und eindeutig wie möglich zu formulieren, um keinen Raum für unterschiedliche Interpretationen zuzulassen. Dabei kann es wichtig sein, neben dem Zweck auch explizit zu beschreiben, wofür das Produkt nicht verwendet werden soll. Diese Beschreibung des normalen und abnormalen Gebrauchs ist auch essentiell, um das Risiko, das von dem Produkt ausgehen könnte, richtig einzuschätzen.

Nachdem die Zweckbestimmung so einen großen Einfluss auf den gesamten weiteren Werdegang des Produkts hat, sollte sie von einer qualifizierten Fachperson formuliert werden, die einen guten Überblick über die klinischen und regulatorischen Konsequenzen hat.

Der Zweck steht fest – was nun?

Sobald der Verwendungszweck vollständig definiert ist, bleibt zu beachten, dass er möglichst in der gesamten technischen Dokumentation und allen zukünftigen Dokumenten des Produkts konsistent gleich formuliert sein soll. Bei der technischen Dokumentation muss, neben der Produktbeschreibung, auch die vorgesehene Patientengruppe und der zu behandelnde Krankheitszustand angegeben werden. Auch sollen Grundsätze zum Betrieb und zur Wirkungsweise des Produkts, falls erforderlich mit wissenschaftlichem Nachweis, beschrieben werden.

Neben der Definition des eigentlichen medizinischen Zwecks selbst sollte im Zuge der Zweckbestimmung also auch der bestimmungsgemäße Gebrauch festgelegt werden. Der Zweck bestimmt, was mit dem Produkt erreicht werden soll, also etwa welche Krankheit man damit therapieren will. Der bestimmungsgemäße Gebrauch legt zusätzlich fest, wie weitere essentielle Aktionen während des Betriebes mit dem Produkt durchzuführen sind – etwa Reinigung, Lagerung, Transport oder das Updaten von medizinischer Software.

Auch nicht medizinische Produkte müssen Richtlinien befolgen

Aber Achtung: Die Medizinprodukte-Verordnung stellt nicht nur Anforderungen an Medizinprodukte selbst. Gewisse Produkte (gelistet im Anhang XVI), wie zum Beispiel farbige Kontaktlinsen oder Implantate, müssen auch gewisse Bestimmungen erfüllen, selbst wenn sie laut Zweckbestimmung nicht als medizinisches Produkt eingestuft werden.

Support für Software

Auch bei Software im medizinischen Kontext ist die Zweckbestimmung ein essentieller erster Schritt um festzulegen, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt oder nicht. Um diese Frage zu beantworten, hilft es einen Blick in das speziell zu diesem Thema von der EU verfasste Guidance-Dokument mit dem Titel „MDCG 2019-11" zu werfen (MDCG steht für „Medical Device Coordination Group” – eine die EU beratende Expertengruppe). Darin wird auch näher erklärt, wie man medizinische Software richtlinienkonform klassifiziert und auf den Markt bringt. Weitere Informationen dazu, in welchem Fall Software als Medizinprodukt gilt, können Sie in unserem Artikel nachlesen.