Klassifizierung: Das Risiko bestimmt die Klasse

Hersteller müssen unter anderem eins unbedingt wissen, wenn sie ein Medizinprodukt erfolgreich auf den Markt bringen möchten: Welche Klasse hat mein Produkt? Je nach Risiko, das mit der Anwendung verbunden sein kann, werden Medizinprodukte nämlich in drei Hauptklassen eingeteilt. Dabei gilt der Grundsatz: je invasiver das Produkt und je länger die Anwendungsdauer, desto höher ist die Risikoklasse. Und genauso grob kann man sagen: Umso höher die Risikoklasse, desto aufwändiger wird die Umsetzung einer Idee oder die Veröffentlichung eines Produkts.

Wie bekommen Medizinprodukte Klasse?

Der erste Schritt, um die Klasse des Produktes richtig festzulegen, ist die Zweckbestimmung. Damit definiert der Hersteller genau, welche Verwendung für das Produkt vorgesehen ist und mit dieser Information kann das Risiko passend abgeschätzt werden. Zum Beispiel ist ganz klar, dass von einer Software, die einen dauerhaft implantierten Herzschrittmacher am Laufen hält, deutlich mehr potenzielle Risiken ausgehen können als von einer App, die bei der Analyse von Hautproblemen hilft. So zählt die Software zu einer höheren Klasse und Hersteller müssen daher auch strengere Bestimmungen befolgen.

Klassenunterschiede

Für die Einteilung in die richtige Klasse ist relevant, ob ein Medizinprodukt invasiv ist, also in den Körper eingebracht wird wie etwa der Herzschrittmacher, oder nicht. Relevant ist auch die Dauer der Anwendung und ob es sich um ein aktives Produkt handelt – also ob dessen Betrieb von einer Energiequelle wie zum Beispiel Strom abhängig ist. Software ist daher grundsätzlich ein aktives Medizinprodukt. Die genauen Regeln zur Einteilung in die Klassen sind im Anhang VIII der Medizinprodukteverordnung nachzulesen. Es werden folgende Klassen unterschieden:

Klasse I

Bei Produkten der Klasse I besteht nur ein geringes Risiko: Sie sind nichtinvasiv und die Anwendung erfolgt nur vorübergehend. Nach der neuen Medizinprodukteverordnung (MDR) fallen Software-Produkte nur noch selten in diese Klasse, da sie meist höher eingestuft werden. Man kann aber beispielsweise Apps, die nur der Prävention dienen, zur Klasse I zählen – etwa eine Trainings-App, die Empfehlungen für Kardiosport gibt.

Es gibt jedoch drei Unterklassen, für die strengere Auflagen gelten: Klasse Im (Medizinprodukte mit Messfunktion), Klasse Ir (wiederverwendbare Medizinprodukte) und Klasse Is (sterile Medizinprodukte).

Klasse II

Klasse II Produkte können invasiv sein und bergen so ein etwas höheres Risiko als Klasse I Produkte. Es gibt dabei zwei Unterklassen:

Klasse IIa

Bei Produkten der Klasse IIa wird das Risiko als mittelmäßig eingestuft. Sie können invasiv sein, aber verbleiben in dem Fall nur kurz im Körper und die Anwendungsdauer ist gering. Nach der Medizinprodukteverordnung (MDR) fällt nun ein Großteil der medizinischen Standalone Software in diese Klasse. Das ist Software, die nicht Teil von einem anderen medizinischen Produkt ist. So gehört beispielsweise eine App, die einem dabei hilft, Hautkrankheiten anhand von Fotos zu analysieren, zur Klasse IIa.

Klasse IIb

Ein erhöhtes Risiko besteht bei Klasse IIb Produkten. Diese sind implantierbar und/oder invasiv sowie für eine längere Anwendungsdauer vorgesehen. Zu dieser Klasse kann etwa Software für Therapieplanung gezählt werden.

Klasse III

Das höchste Risiko besteht bei Klasse III Produkten. Sie sind implantierbar und/oder hochinvasiv und zur langzeitigen Anwendung gedacht. Das Risikopotenzial ist deshalb so hoch, weil diese Medizinprodukte einen großen Einfluss auf wichtige Körperfunktionen haben, beispielsweise indem sie direkt am Herzen wirken. Dazu gehört beispielsweise Software, die einen Herzschrittmacher am Laufen hält.

Klasse I

  • geringes Risiko
  • nur vorübergehende Anwendung
  • nichtinvasiv
  • keine Benannte Stelle erforderlich (gilt nicht für Unterklassen)
  • Beispiele: Lesebrillen, Rollstühle oder Verbandsmaterial

Klasse IIa

  • mittleres Risiko
  • invasiv oder nichtinvasiv
  • kurzzeitige Anwendung
  • Benannte Stelle erforderlich
  • Beispiele: Einwegspritzen, Ultraschall oder Hörgeräte

Klasse IIb

  • erhöhtes Risiko
  • implantierbar und/oder invasiv
  • zur langzeitigen Anwendung
  • Benannte Stelle erforderlich
  • Beispiele: Beatmungsgeräte, Defibrillatoren oder Infusionspumpen

Klasse III

  • hohes Risiko
  • implantierbar und/oder hochinvasiv
  • zur langzeitigen Anwendung
  • Benannte Stelle erforderlich
  • Beispiele: Katheter, künstliche Gelenke oder andere Implantate

Wie findet man die passende Klasse für Software?

Natürlich muss auch medizinische Software in eine passende Risikoklasse eingeteilt werden. Welche Software nach der neuen Verordnung als Medizinprodukt eingestuft wird, können Sie in diesem Artikel nachlesen. Dabei gilt: Wenn die Software ein Produkt steuert oder dessen Anwendung beeinflusst, wird sie derselben Klasse zugeordnet wie das Produkt selbst. Das heißt, dass zum Beispiel Software, die einen Defibrillator steuert, genau wie dieser auch der Klasse IIb zugeordnet wird. Wenn eine jedoch einen Herzschrittmacher am Laufen hält, gehört sie, wegen des höheren Risikos, das damit verbunden ist, zur Klasse III. Wenn die Software kein Teil eines anderen Medizinproduktes ist (sog. Standalone Software), wird sie für sich alleine klassifiziert.

Innerhalb einer App kann es auch vorkommen, dass unterschiedliche Funktionen in verschiedene Klassen eingestuft werden: Zum Beispiel wenn eine Diabetes-App in der Lage ist, eine Insulinpumpe zu kontrollieren und auch dabei hilft, die notwendige Menge an Insulin zu berechnen sowie alle Werte in einem Logbuch zu tracken, um den Gesundheitszustand zu überwachen und zu kontrollieren. Dann wird etwa das Logbuch zur Klasse IIa gezählt, aber die Kontrolle der Pumpe und die Insulin-Berechnung wird der Klasse IIb zugeordnet.

MDR wirft ein strengeres Auge auf Software

Nach der neuen Medizinprodukteverordnung (MDR), die im Mai 2021 voll in Kraft trat, müssen medizinische Software-Produkte nun strengere Auflagen erfüllen, da die meisten nun einer höheren Klasse als Klasse I zugeordnet werden. Wie die Einteilung bei Software genau erfolgen soll, ist in der Regel 11 der Medizinprodukteverordnung festgelegt. Zum Beispiel wird eine App zur Diagnose von Schlafapnoe, die nach der alten MDD-Richtlinie als Klasse I galt, nun nach dieser Regel in Klasse IIa oder höher eingestuft.

Der Verordnung zufolge fällt nun generell der Großteil der Software-Produkte in die Klasse IIa. Denn da zählt laut der Regel 11 Software dazu, wenn sie entweder für die Kontrolle von physiologischen Prozessen verwendet wird oder Informationen liefert, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden. Diese Kriterien treffen aber generell auf die meisten medizinischen Softwareprodukte zu, da Medizinprodukte generell der Diagnose, Überwachung und Therapie dienen.

Das ist der Grund, warum kaum noch medizinische Software in die Klasse I fällt. Nur wenn die Software allein folgenden Zwecken dient, ist das noch möglich:

  • Prävention
  • Monitoring, durch das keine Diagnose gestellt oder Therapie abgeleitet werden kann
  • Prognosen, die nicht verwendet werden, um Entscheidungen zu treffen
  • Linderung von Symptomen, die nicht als Therapie gilt

Die Klasse bestimmt den weiteren Weg

Aber warum ist es so wichtig, Medizinprodukte in die richtige Klasse einzuteilen? Das liegt daran, dass je nach Klasse unterschiedliche regulatorische Anforderungen gelten. So ist es von der Klasse abhängig, welche Schritte ein Produkt beim Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen muss. Dieses ist nötig um zu bestätigen, dass das Produkt allen erforderlichen europäischen Richtlinien bzw. Verordnungen entspricht. Nur bei Produkten, die unter Klasse I fallen (ausgenommen Im, Ir & Is), dürfen die Hersteller selbst das Verfahren durchführen. Bei allen anderen Klassen muss dazu eine Benannte Stelle, also eine staatlich überwachte Prüfstelle, miteinbezogen werden. Dadurch ist der Aufwand deutlich höher. Das gilt auch für die Unterklassen der Klasse I: Im, Ir und Is. Genaueres dazu können Sie in unserem Artikel zum Konformitätsbewertungsverfahren nachlesen.

Doch die Klasse ist nicht nur essentiell, um das Medizinprodukt richtlinienkonform auf den Markt zu bringen: Auch wie streng ein Medizinprodukt noch nach dem Markteintritt überwacht werden muss, ist von der Klasse abhängig. So beeinflusst die Klassifizierung ein medizinisches Produkt über die gesamte Lebensdauer.

Oft ist es sehr schwierig, die richtige Klassifizierung für ein Medizinprodukt zu finden. Besonders bei Software bedarf es genauer Abwägung und detaillierter Bewertung. Gerne unterstützen wir Sie bei der Klassifizierung Ihrer Produktidee oder Ihres Medizinprodukts